Was ist gut? Diese Frage beschäftigt die Philosophie schon seit der Antike und soll uns auch in diesem Artikel ein wenig begleiten. Dabei bezieht sich diese Frage nicht auf eine Liste mit schönen Dingen, wie beispielsweise kalte Getränke im Sommer oder tolle Autos. Es geht vielmehr um den Kern, um das Wesen des Guten. Um die Verbindung zwischen dem Guten und dem menschlichen Leben.
Interessant ist zunächst der Blick auf den sprachlichen Aspekt. Ein gelbes Kissen hat mit dem gelben Tisch etwas gemeinsam. Und zwar, dass ihre Farbe identisch ist. Wie aber ist das mit dem Wort „gut“? Was hat ein gutes Buch mit einem guten Essen oder einem guten Menschen gemeinsam?
„Das Gute ist leichter zu erkennen als zu identifizieren.“
(W. H. Auden)
Hilfreich ist der Blick auf zwei Redewendungen, die sich in nur einem Wort voneinander unterscheiden. Die Bedeutung ändert sich dadurch aber sehr. Das eine Wort macht dabei nicht den großen Unterschied, sondern der Gebrauch dieser Redewendungen in unserer heutigen Gesellschaft.
- Das gute Leben: Mit diesem Satz verbinden viele Menschen häufig eine hohe Lebensqualität, wie zum Beispiel Komfort, Sicherheit, Reisen, gute Schulen, gute Freunde, gesundes Essen, guter Wein, schöne Häuser usw.
- Ein gutes Leben: Die Bedeutung dieser Redewendung ist schon eine andere. Hiermit verknüpfen viele Menschen häufig mehr ethisch-moralische oder auch spirituelle Werte. Beispielsweise wahre Freundschaft, Aufrichtigkeit, Ausgeglichenheit, Hilfsbereitschaft, Erfüllung, Verlässlichkeit, Altruismus und Selbstlosigkeit usw.
Ist ein Leben dann gut, wenn es sich durch hohe Lebensqualität und Genuss definiert? Oder kann ein Leben als gut beschrieben werden, wenn es von ethischen und moralischen Werten geprägt ist? Oder können diese Lebensweisen nicht gegenseitig ausgeschlossen, sondern vielmehr miteinander vermischt werden? Was braucht man, um ein guter Mensch zu sein und ein gutes Leben zu führen?
Ein Blick in die Antike
Diese Fragen wurden in allen Zeiten und in allen Kulturen gestellt. Auch in unserer spätkapitalistischen Zeit gibt es Antworten auf diese Fragen. Antworten, bei denen das Individuum im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Wo individuelle Ziele verfolgt werden und dann von der Werbung als Ausdrucksweise eines souveränen Individualismus gesehen werden. Diese Sichtweise und Lebensauffassung der zügellosen Steigerung, des Wachstums und des Konsumrausches ist nicht erst seit Fridays for Future überholt. Die Antworten aus unserer heutigen westlichen Kultur können also kein guter Ratgeber sein.
Es lohnt sich, einen vermeintlichen Schritt zurückzugehen und die Philosophen der Antike zu befragen. Nach Aristoteles (384 v.Chr. – 322 v.Chr.) ist eine Sache dann gut, wenn sie den Zweck, der in ihr angelegt ist und ihr Wesen ausmacht, auch erfüllt. Ein gutes Buch bildet, ein gutes Essen stärkt den Körper, eine guter Besen reinigt den Boden und ein guter Stift bringt meine Worte auf das Papier. In diesen Fällen machen die guten Dinge genau das, wozu sie erdacht worden sind. Sie erfüllen ihren Zweck. (Quelle)
Welchen Zweck verfolgt das menschliche Leben?
In erster Linie ist ein gutes Leben zunächst einmal das, welches sich auf seinen Zweck hin geprüft hat. Die Frage nach dem Zweck ist ein umfassender Prozess und fragt nach dem „Wozu?“. Neben den Haupttugenden Toleranz, Mut, Geduld, Liebe, Vergebung usw., die an sich schon in jedes Lebensbild eines Menschen gehören und geübt werden sollten, hilft hier nur die ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit und dem eigenen Charakter.
Was will ich wirklich im Leben? Was begeistert mich? Was sind meine Talente und Stärken? Was möchte ich bewirken und was ist der Grund, weshalb ich jeden Morgen aufstehe? Die ehrliche Beantwortung dieser Fragen zeigt einer jeden Person wichtige Lebensthemen und Interessen auf, dessen Bearbeitung und damit einhergehende Erfahrungen für den eigenen Entwicklungsweg wichtig sind. Die Antworten sind bei jedem Menschen unterschiedlich, jeder hat in seinem Dasein gewisse Aufgaben zu erfüllen und Pflichten auf sich zu nehmen, jeder innerhalb seiner geistigen Entwicklungsstufe und in anderer Form und Schwierigkeit.
Für den Einen kann ein Zweck innerhalb des beruflichen Weges gefunden werden, für andere wiederum innerhalb der familiären Aufgaben oder innerhalb von Tätigkeiten im Rahmen eines Hobbys oder Ehrenamtes. Jeder Mensch ist in einer bestimmten Richtung mit einer Veranlagung ausgestattet. Diese hervortretende besondere Eigenschaft oder Tugend gibt Hinweise auf den eigenen Lebensweg. Ein Mensch zum Beispiel, der sich berufen fühlt, Erzieher zu sein und anderen auf ihrem Weg zum Erfolg verhelfen will, sollte in erster Linie über ein großes Maß an Geduld verfügen.
Neben dem eigenen zweckerfüllten Lebensweg meint ein gutes Leben auch das ethisch-moralisch anständige Leben. Denn nur im Rahmen einer Gemeinschaft kann auch ein Zweck gefunden und erfüllt werden. Materielle Dinge und eine gewisse ökonomische Lebenssituation sind dabei Voraussetzungen und bilden die Grundlage für ein gesundes, angenehmes und abgesichertes Leben, aber nicht mehr.
Ich als Teil der Gemeinschaft
Die Frage nach dem guten Leben ist nicht nur eine Frage nach dem „Ich“, sondern auch eine Frage nach dem „Wir“. Wir Menschen sind keine Insulaner, sondern leben in täglicher Wechselwirkung mit unserem Umfeld. Wir tauschen Erfahrungen aus, wachsen und schreiten gemeinsam voran. Wir brauchen einander. Egoismus und Altruismus sind in diesem Zusammenhang Begriffe, die nicht schwer auseinanderzuhalten sind. Im Egoismus steht das eigene Ich im Mittelpunkt und ist rücksichtslos nur auf den eigenen materiellen Vorteil bedacht. Den eigenen Fortschritt auch anderen zunutze werden zu lassen ist Altruismus. Eine Motivation, die im Letzten darauf abzielt, das Wohlbefinden eines Anderen zu erhöhen, definiert der Psychologe Daniel Batson (geboren 1943).
Grenze zwischen Altruismus und Egoismus
Wo sind aber die Grenzen zwischen Altruismus und Egoismus? Egoismus ist immer dann erforderlich, wenn es um die Erhaltung des Lebens, um die Pflege der Persönlichkeit und um die Verfolgung von Zielen geht, die einer Berufung entsprechen. Und wenn es mir gut geht, habe ich auch die Möglichkeit anderen Menschen zu helfen. Hier knüpft eine altruistische Einstellung an und ermöglicht einen Beitrag zum Wohlergehen eines anderen als erstrebenswertes Handeln. Dies ist nach vielen spirituellen Traditionen auch die beste Art und Weise, indirekt das eigene Wohl zu erlangen und den geistigen Fortschritt zu fördern. Die Bemühung, Wertschätzung und Freude am Glück anderer erzeugt auch eine gewisse Unparteilichkeit und ist zugleich auch ein Gegengift gegen den Vergleich mit anderen, gegen Konkurrenzdenken und Sozialneid.
Der Dienst für andere und an der Gemeinschaft sollte aber nicht etwa zur Selbstverleugnung führen, denn ohne einen gesunden Egoismus, einer Achtung vor der eigenen Person kann kein Mensch im Sinne des Fortschritts leben. Anerkennung des eigenen Ichs mit Bescheidenheit und Rücksichtnahme auf die Umgebung ist ein guter Weg. Es ist also auch hier wieder der goldene Mittelweg als richtige Basis. Mit einem einzigen Satz ist er gekennzeichnet: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Oder wie es die Goldene Regel ausdrückt: Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst. Diese Goldene Regel beschreibt eine kluge Lebenseinstellung in der goldenen Mitte, zwischen Egoismus und Altruismus.
Mit Wille, Mut und Vision
Nehmen wir an, ein Mensch habe sein Leben auf seinen Zweck hin überprüft und ein Gleichgewicht zwischen Egoismus und Altruismus gefunden und ist bestrebt, dies in seinem Leben zu verwirklichen. Es wird ihm sicher nicht schwerfallen, da ein guter Wille verbunden mit Mut und einer Vision immer zum Ziel führt und nur zu diesem führen kann. Es geht ja nicht um materielle Dinge, deren Besitz erreicht werden soll, sondern um geistige Werte und Erfahrungen, die einem nichts und niemand streitig machen kann.