Ich habe mir eine kleine Herausforderung vorgenommen. Es ist nicht nur das Thema dieses Artikels, sondern auch die Art und Weise, wie ich darüber schreiben möchte. In meinen letzten Artikeln habe ich die Sachthemen in den Vordergrund gestellt und wenig über meine persönlichen Gedanken und Erfahrungen geschrieben. Heute möchte ich über religiösen und spirituellen Glauben schreiben. In Deutschland wird er im Vergleich zu anderen Ländern und Kulturen eher als Privatsache betrachtet und nicht groß thematisiert. Und weil das so ein persönliches Thema ist, geht das nicht ohne meine eigenen Gedanken und Erfahrungen.
Aufgewachsen bin ich in Nordrhein-Westfalen. In einem kleinen Ort mit ca. 8.000 Einwohnern. Ich fühle mich noch immer sehr verbunden mit meiner Heimat und erinnere mich gerne an die Zeit im Fußballverein und an die vielen Aktivitäten draußen in der Natur. Katholisch erzogen erinnere ich mich auch noch an die sonntäglichen Kirchengänge und an den guten Zusammenhalt in der Gemeinschaft. Auch den Religionsunterricht in der Schule habe ich noch vor Augen. Man wusste, dass es zwei Religionen gab. Entweder war man evangelisch oder katholisch, etwas anderes gab es nicht. Im Mittelpunkt stand dabei stets, sich nach dem Guten zu orientieren. Eingebettet in einen religiösen Rahmen, den die katholische Kirche vorgegeben hat.
In diesem religiösen Rahmen wurde ich getauft, bin mit neun Jahren zur Erstkommunion gegangen und habe wenig später zur Firmung meinen Glauben bestätigt. Ich erinnere mich an den Unterricht vor der Erstkommunion, bei dem wir grundlegende Aspekte der Kirche kennengelernt haben. Auch Sakramente wie die Beichte wurden vermittelt. Die Beichte sollte für eine Umkehr der schlechten Gesinnung sorgen. Sie konnte nur von einem katholischen Priester entgegengenommen werden, da nur er nach der katholischen Lehre die Macht hat, Sünden in Stellvertretung Gottes zu vergeben. So weit, so gut.
Zeit des Hinterfragens
Im Laufe der Jugend nahm meine Verbundenheit zur katholischen Kirche ab. Ich hatte zwar einen Bezug zu Spiritualität, aber innerlich sträubte ich mich gegen das Bild, das mir die katholische Kirche als religiösen Rahmen angeboten hatte. Mit der Zeit kamen mehr Zweifel als Antworten. Ich hatte schließlich für mich erkannt, dass ich keine äußere Religionsform benötige. Ich glaubte im Inneren. Aber richtig beschäftigt hat mich das zu der Zeit auch nicht. In dem Alter hatte ich ganz andere Interessen.
Einige Jahre später, nach Beendigung meines Studiums, hatte ich mich wieder für existenzielle, philosophische und spirituelle Fragen interessiert. Doch vorab entwickelte ich das Bedürfnis, meine einengende religiöse Erziehung aufzuarbeiten. Die von oben diktierten Glaubensnormen kritisch zu hinterfragen und die Begriffe Glaube, Spiritualität und Kirche auseinander zu sortieren. Zu versuchen, die Welt und die menschliche Existenz zu ergründen, zu deuten und zu verstehen.
Aus meiner Sicht ist der wahre gelebte Glaube Ergebnis des eigenen kritischen Nachdenkens, des eigenen Verstehens und der eigenständig entwickelten Überzeugung. Erst dann steht der Glaube auf einem stabilen Fundament und kann dem weiteren Lebensweg eine langfristige innere Orientierung geben. Dazu gehörte für mich, die von Kind an gepflegten Auffassungen zu hinterfragen und nicht für unantastbar zu halten.
„Der blinde Glaube ist nicht mehr Sache dieses Jahrhunderts; denn gerade das Dogma des blinden Glaubens erweckt heute die größte Zahl der Ungläubigen, weil er sich aufdrängen will und weil er die Hingabe einer der kostbarsten Fähigkeiten des Menschen verlangt: die Vernunft und den freien Willen.” (Allan Kardec)
Welche Art von Religion?
Erich Fromm (1900-1980) beschreibt in seinem Buch „Haben oder Sein“ den Begriff der Religion als ein von einer Gruppe geteiltes System des Denkens und Handelns, das dem Einzelnen einen Rahmen der Orientierung und ein Objekt der Hingabe bietet. Diese Definition von Religion sagt zunächst einmal nichts über den spezifischen Inhalt aus. Objekte der Hingabe können sehr verschieden sein, unter anderem kann dies sein: ein Gott-Schöpfer, Heilige, Vorfahren, eine Nation, eine Partei, Geld oder Erfolg. Nach der Redensart „An der Frucht erkennt man den Baum“ kann eine Religion den Hang zur Destruktivität fördern oder die Bereitschaft zur Liebe und Solidarität entwickeln. So stellt sich nicht die Frage: Religion oder nicht?, sondern vielmehr: Welche Art von Religion? Fördert sie die menschliche Entwicklung, die Entfaltung menschlicher Kräfte oder lähmt sie das menschliche Wachstum?
Albert Einstein (1879-1955) wählte den Begriff der „Kosmischen Religion“, um seiner Art des religiösen Fühlens einen passenden Namen zu geben. Die Kosmische Religion als ein Religionsinhalt für Menschen, die hierarchischen Institutionen und dogmatischen Lehren skeptisch gegenüber stehen, aber sehr wohl Verpflichtung gegenüber dem Kosmos und Weltganzen fühlen. Ethisches Verhalten orientiert sich für sie nach den Maßstäben der Menschlichkeit und Vernunft sowie Verantwortung für die Schöpfung. (Quelle)
Antworten auf die großen Fragen
Die Frage lautet nun, wer kann die großen Fragen des Lebens beantworten? Zu wem soll ich mit meinen Fragen gehen? Sollen wir die großen Religionssysteme fragen? Stehen sie bei den wichtigen Fragen nicht im Widerspruch zueinander? Was alle Religionen im Kern vereint, ist die Botschaft der Liebe & Nächstenliebe.
In der heutigen Zeit ist zu erkennen, dass sich immer mehr Menschen für geistige Themen interessieren und die Spiritualität nutzen, um das eigene Bewusstsein bzw. den Horizont zu erweitern. Das spirituelle Interesse wird zunehmend größer (Quelle). Gleichzeitig nimmt die Verbundenheit zu den kirchlichen Institutionen ab. Im Jahr 2019 sind in Deutschland 272.771 Personen aus der katholischen Kirche ausgetreten (Quelle). Eigentlich wäre die Kirche doch als Raum für spirituelle Entwicklung bestens geeignet. Doch stattdessen suchen viele Menschen eigene Wege, um ihrer Spiritualität Ausdruck zu verleihen. Warum ist das so?
Ein Grund könnte sein, dass in der Geschichte der Menschheit im Namen Gottes viel Ungöttliches getan wurde. Es wurden Theorien über einen strafenden Gott oder gar der Hölle aufgestellt. Es sind Theorien, an denen mit mehr oder weniger Absicht und Unwissenheit gerne festgehalten wird. Viele Menschen fühlen, dass dies nicht richtig sein kann. Sie wenden sich von diesen Lehren ab. Leider schütten dann viele „das Kind mit dem Bade aus“ und wenden sich komplett ab vom Glauben an eine göttliche Allmacht. Dabei bräuchte es vielleicht nur einer Korrektur. Zum Beispiel bei Schwierigkeiten mit der Bezeichnung “Gott”. Hier bedarf es nur einer Änderung zu einer persönlich stimmigen Bezeichnung in “göttliche Allmacht”, „Göttlicher Geist“, „Urquelle“ oder „Schöpfer“. Ich persönlich sehe mich heute als Christ mit Gottesglauben ohne formale Kirchenzugehörigkeit.
Universelles Wissen aus universellen Quellen
Antworten auf die großen Fragen des Lebens können wir in den philosophischen Traditionen der Welt finden, wie die Philosophie der Antike (Quelle), die chinesische Philosophie (Quelle) und die indische Philosophie (Quelle). Trotz aller kulturellen Unterschiede gibt es eine Vielzahl an Gemeinsamkeiten: die Unsterblichkeit der Seele und des Geistes, der Kreislauf der Wiedergeburt (Reinkarnation), das Gesetz von Ursache und Wirkung und die Vorstellung einer kosmischen Instanz, einer ersten Ursache aller Dinge.
Wenn wir im Kern geistige Wesen sind, dann ist es ein nahe liegender Gedanke, dass der Beweis und die Auskunft auch dadurch geliefert werden kann, dass uns die geistige Welt selbst darüber aufklärt.
Vor einigen Jahren fiel mir ein Buch von Johannes Greber (1874-1944) in die Hände. Er war ein katholischer Priester und berichtet in seinem Buch, wie er mit einem spiritistischen Kreis in Kontakt kam und über die Zusammenhänge mit der spirituellen Welt aufgeklärt worden ist:
- Dass die materielle Welt, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können, nicht die gesamte Schöpfung darstellt.
- Dass parallel zu dieser materiellen Welt auch eine spirituelle Welt existiert, die unsere bekannte Welt an Größe, Vielfalt und Schönheit bei Weitem übertrifft.
- Dass die dem Menschen innewohnende Seele nach dem Abschied von der materiellen Welt weiter existiert und sich durch aufeinanderfolgende Inkarnationen weiterentwickeln kann.
- Dass die Seele der innerste Kern eines jeden Menschen ist und als solcher auch die Quelle des Bewusstseins im Körper.
Johannes Greber berichtet, dass ihm diese Botschaften über ein Channel-Medium vermittelt worden sind. Diese Erläuterungen und Erfahrungen, die er während dieser Zeit machte, waren neu für ihn und brachten sein bisheriges Glaubensgebäude ins Wanken. Mit der Zeit ist ihm diese Sache sehr wichtig geworden. Er konnte die neuen Erfahrungen nicht einfach beiseiteschieben, sondern wollte weiter prüfen und lernen. (Quelle)
Bücher wie die von Johannes Greber zeigen mir, dass es noch viel mehr gibt. Dass das Universum noch sehr viel mehr bereithält. Auch der französische Wissenschaftler Allan Kardec (1804-1869) interessierte sich für die Botschaften und Aufklärungen aus der spirituellen Welt. Ausgangslage war das zu dieser Zeit sehr oft stattfindende Phänomen der sich drehenden Tische, welches bereits zu Zeiten der Römer und Griechen bekannt war.
Allan Kardec war aber weniger an den beobachteten Phänomenen interessiert. Er erforschte die dahinter steckenden und vielleicht noch unbekannten Naturgesetze. Da er selbst Wissenschaftler und kein Channel-Medium war, stellte er eine Liste mit Fragen zusammen und begann mit Channel-Medien zusammenzuarbeiten. Im Anschluss veröffentliche Allan Kardec die Ergebnisse seiner Forschungsarbeiten in diversen Büchern (Quelle). Im Jahr 2019 wurde in diesem Zusammenhang der Film „Kardec“ veröffentlicht („Kardec“ bei Netflix).
Grenzen menschlicher Vorstellungskraft
Diese Forschungen, Erkenntnisse und Botschaften können uns darin unterstützen, unsere eigene Sicht auf die Dinge zu entwickeln und Antworten auf unsere Fragen zu erhalten. Auch bezogen auf Fragen zur göttlichen Allmacht. Wie können wir sie uns vorstellen? Wenn sie überall ist, warum sehen wir sie nicht?
Unsere materiellen Organe haben begrenzte Wahrnehmungsfähigkeiten, die uns nicht alles sehen lassen. Wir sehen beispielsweise Bewegungen aufgrund der Schwerkraft, aber wir sehen diese Kraft selbst nicht. Wir nehmen die Wirkungen wahr, aber nicht immer die Ursachen. Manche Tiere können das Magnetfeld der Erde wahrnehmen und nutzen es zur Navigation in ihre Sommer- und Winterquartiere. Meine Wahrnehmung ist begrenzter.
Dinge spiritueller Natur können wir mit unseren materiellen Organen nicht wahrnehmen. Aber wir können ein Vertrauen dahin entwickeln, dass sie da sind. So ist es auch mit unserer Vorstellung vom Wesen der göttlichen Allmacht. Auch wenn es uns nicht möglich ist, sie mit unseren Worten und Bildern beschreiben zu können, so können wir aber ein Vertrauen entwickeln und eine Beziehung mit unerschütterlicher Treue und bewusster Verbundenheit aufbauen.
Die Parabel des Schriftstellers David Foster Wallace (1962-2008) bietet hier ein passendes Schlussbild. Das Anliegen dieser Parabel ist die Verdeutlichung, dass die offensichtlichsten, allgegenwärtigsten und wichtigsten Tatsachen oft die sind, die am schwersten zu erkennen sind.